Expanding Narratives
Galerie Andreas Binder, München 2023
Mit Expanding Narratives präsentiert die Galerie Andreas Binder die bereits zehnte Einzelausstellung des Künstlers Matthias Meyer.
Anlässlich dieses Jubiläums ermöglicht der Künstler Einblicke in die ganze Vielfalt seines künstlerischen Schaffens und in ein „Dahinter“. Erweiterte Sicht- und Erzählweisen werden nicht nur in der malerischen und motivischen Vielschichtigkeit der neuen Werke deutlich, sondern entspinnen sich auch zwischen den vermeintlich unterschiedlichen Bildthemen.
So zählen seit Anbeginn seines künstlerischen Schaffens Fluss- und Seenlandschaften, Blumenbilder aber auch Stadtlandschaften zu den zentralen Motiven seiner Gemälde. Die Natur in ihrer Fülle und vollkommenen Ästhetik, ihre Strukturen, Muster und Regelmäßigkeiten erforscht Meyer im Spiegel der Erscheinungsformen von Mensch, Kultur und Architektur und lenkt unseren Blick durch seinen malerisch-technischen Duktus auf Gemeinsamkeiten, die sich dem Auge nur auf den zweiten Blick offenbaren. Ganz bewusst nähert er sich sowohl den Seerosenarbeiten als auch der Umbrellas-Serie auf dieselbe malerische Weise: der abstrakte Bildhintergrund erfährt durch das Setzen von Farbakzenten – in diesem Fall die Seerosen oder Regenschirme - eine Transformation, die das einst abstrakte Werk in die Sphäre der Figuration erhebt.
Insofern lassen sich Meyers Werke auch nicht auf der Oberfläche Ihres Gegenstands deuten. Vielmehr spiegelt sich in ihnen das Wagnis wider, sich - ungerührt von postmodernen Kunstdiskursen - der Essenz der Malkunst und der Komposition, und damit der Fähigkeit der Kreation, zu widmen. Dabei erweitert er immer wieder sein technisches Repertoire, integriert neue Farben, nimmt neue Perspektiven ein. So wird die Leinwand zur Spielwiese und Projektionsfläche für die künstlerische Auseinandersetzung mit den Analogien der Materialität der Erscheinungswelt und der Malerei.
Die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des Wassers beispielsweise gibt der Künstler in seinen Fluss- und Seegemälden durch die Kombination von durchlässigen Farbschichten und einer linearen Komposition bildhaft wieder. Gleiches geschieht, wenn Regenschirme - nicht durch die Sichtbarmachung des Regens, sehr wohl aber durch verschwimmende Farbverläufe - die Dynamiken der Innenstadt Hongkongs einfangen. Hier wird das liquide Element in einem Moment des Stillstands bildhaft gemacht und ermöglicht uns einen Einblick in das Wesen einer von Ähnlichkeiten und Parallelen erfüllten Welt.
Diese inhaltliche Komponente zeigt sich schließlich auch in der konkreten Vorgehensweise des Künstlers. Auf der Grundlage von Fotografien komponiert Meyer erst geometrisch die Bildfläche, um dann in einem improvisierenden Schaffensprozess das Werk zu vollenden. Meyer folgt dabei der Auffassung, dass sich die Malerei – analog zum Leben – in einem immerwährenden Fluss befindet, bei dem das Bild „ein Eigenleben entwickelt und sich dabei beinahe etwas natürliches bewahrt“. Die Arbeit mit stark verdünnter Ölfarbe und Lösungsmitteln, die zufälligen Farbverläufe, Verwischungen und Überlagerungen machen das deutlich.
So mündet die Hinwendung zu Konzeption und Bildhaftigkeit in seiner Praxis in ein Prinzip der Formlosigkeit, bei dem die Farbe als den Bildraum komponierendes Mittel autonom eingesetzt wird. Dank dieses technisch-konzeptuellen Ansatzes scheint es Matthias Meyer zu gelingen, den Antagonismus zwischen Figuration und Abstraktion und damit die Grenzen der künstlerischen Sicht- und Sehweisen zu überwinden
(Text: Leni Senger).
With Expanding Narratives Galerie Andreas Binder presents already the 10th solo exhibition of the artist Matthias Meyer. On the occasion of this anniversary, the artist provides insights into the whole diversity of his artistic work and into a "behind". Expanded ways of seeing and telling are not only evident in the pictorial and motivic complexity of the new works, but also unfold between the supposedly different subjects.
Since the beginning of his artistic work, river and lake sceneries, flowers, but also cityscapes have been among the central motifs of his paintings. Meyer explores nature in its richness and perfect aesthetics, its structures, patterns and regularities, thus reflecting the manifestations of men, culture and architecture. By doing this, he directs our view through his special painting technique to similarities that are only revealed at second glance. Meyer consciously approaches both the Water Lily works and the Umbrellas series in the same way of painting. The abstract background of the painting undergoes a transformation through the placement of color accents, which elevates the once abstract work into the sphere of figuration.
In this sense, Meyer's works cannot be interpreted on the surface of their subjects. They rather reflect the daring to devote themselves - unaffected by postmodern art discourses - to the essence of painting and composition, and thus to the ability of creation. In the process, he repeatedly expands his technical repertoire, integrates new colors, adopts new perspectives. The canvas thus becomes a playground and projection surface for the artistic exploration of the analogies of the materiality of the appearance world and painting.
In his river and lake paintings, for example, the artist pictorially reproduces the mutability and adaptability of water by combining translucent layers of paint with a linear composition. The same happens when umbrellas capture - not by making the rain visible, but very much through blurring color gradients - the dynamics of downtown Hong Kong. In this instance, the liquid element is made figurative in a moment of standstill, allowing us a glimpse into the nature of a world filled with similarities and parallels.
This content-related component is ultimately evident in the artist's concrete approach: based on photographs, Meyer first composes the pictorial surface geometrically, and then completes the work in an improvisational creative process. Meyer follows the opinion that painting - analogous to life - finds itself in a perpetual flow, in which the image "develops a life of its own, while retaining something almost natural". The work with highly diluted oil paint and solvents, the random color gradients, blurrings and overlays make this clear.
In this way, the turn to conception and pictorial nature in Meyer´s practice leads to a principle of formlessness, in which color is used autonomously as a medium that composes the pictorial space. Thanks to this technical-conceptual approach, Matthias Meyer seems to succeed in overcoming the antagonism between figuration and abstraction and thus the boundaries of artistic ways of seeing.
(Text: Leni Senger)