ATROPA
Galerie Andreas Binder, München 2020
Mit Atropa präsentiert die Galerie Andreas Binder die 9. Einzelausstellung des Malers Matthias Meyer.
Von Anbeginn seines künstlerischen Schaffens zählen Landschaften zu den zentralen Motiven von Matthias Meyers Gemälden. Stets den Blick auf die Natur und deren malerische Umsetzung im Spiel mit den Elementen richtend, wendet er sich nun in seinen neuen Wald- und Seenlandschaften vermehrt der detaillierten Abbildung der Pflanzenwelt zu. Nicht mehr allein die malerische Sichtbarmachung der subjektiven Wirkungsmacht der Natur steht im Mittelpunkt großformatiger Leinwandarbeiten, vielmehr wird die Natur konkret in ihrem dichotomen Verhältnis von Schönheit und Gefahr benannt.
So ist das großformatige Gemälde Atropa nicht allein nach der lateinischen Übersetzung der dort abgebildeten Tollkirsche, die – neben anderen toxischen Pflanzen - Einzug in Meyers Werke gewonnen hat, benannt. Vielmehr beinhaltet die Herkunft des botanischen Namens – abgeleitet von der griechischen Schicksalsgöttin Atropos, die Zerstörerin, die den Lebensfaden der Menschen durchschneidet - den bedrohenden Charakter der Natur, der sich hinter ihrer Schönheit auftut, und verweist dabei auf den immerwährenden Kreislauf des Lebens, bei dem die Zerstörung stets Grundlage für Wandel und Neuentstehung ist.
Und so wie die Natur in ihrer Fülle und vollkommenen Ästhetik gleichzeitig in ihrer Vielschichtigkeit schwer zu fassen ist, so wenig lassen sich auch Meyers Werke an der Oberfläche Ihres Gegenstands oder ihres malerisch-technischen Duktus deuten. Vielmehr spiegelt sich in Meyers Landschaftsgemälden das Wagnis wider, sich - ungerührt von postmodernen Kunstdiskursen - der Essenz der Malkunst und den Wundern der Natur zu widmen. Auf subtile Art und Weise konfrontiert uns der Maler hier mit der Dissonanz von irdischer Ewigkeit und Endlichkeit, Utopie und Dystopie, Material und Reflexion.
Dabei scheint es fast, als würden seine Motive auf der Leinwand zur Spielwiese und Projektionsfläche für die künstlerische Auseinandersetzung mit den Analogien der Materialität von Natur, Malerei und dem Leben selbst. Die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des Wassers beispielsweise, die ermöglicht, dass Licht und Umgebung gleichermaßen aufgenommen und gespiegelt werden, wird vom Künstler mit Leichtigkeit durch die Kombination von durchlässigen Farbschichten, einer linearen Komposition und dem gezielten Einsatz von Farbe als strukturierendem Element bildhaft wiedergegeben. So wird die Dichte des Waldes und die Unstetigkeit des Wassers in einem Moment der Stille eingefangen und ermöglicht uns einen Blick in das Dahinter und Darunter einer von Schönheit und Gefahr gleichermassen erfüllten Welt. Dabei geht die Bewusstwerdung der Zerstörungskraft der Natur einher mit der Erkenntnis der Gefahr, die wir Menschen für sie sind und macht einmal mehr deutlich, dass die Welt nur im Einklang von Mensch und Natur weiterbestehen kann.
Diese inhaltliche Komponente spiegelt sich schließlich auch in der konkreten Vorgehensweise des Künstlers wider: so bedient Meyer sich nicht nur Fotografien als Vorlage für seine Gemälde, auch die Ausfertigung folgt einer geometrischen Komposition, die sich an der Tradition der Farbfeldmalerei orientiert und der dann ein davon losgelöster, improvisierender Schaffensprozess folgt. Die abstrakte Andeutung der Landschaft, kombiniert mit dokumentarischen Details im Spiegel des konzeptionellen Aufbaus ermöglichen so, die nicht definierbaren Bildräume der Natur wiederzugeben. Meyer folgt bei dieser Vorgehensweise der Auffassung, dass sie sich die Malerei – analog zum Leben – in einem immerwährenden Fluss befindet, bei dem das Bild „ein Eigenleben entwickelt und sich dabei beinahe etwas natürliches bewahrt“. Die Arbeit mit stark verdünnter Ölfarbe und Lösungsmitteln, die zufälligen Farbverläufe, Verwischungen und Überlagerungen machen das deutlich.
So mündet die Hinwendung zu Konzeption und Bildhaftigkeit in seiner Praxis in ein Prinzip der Formlosigkeit, bei dem die Farbe als den Bildraum komponierendes Mittel autonom eingesetzt wird. Dank dieses technisch-konzeptuellen Ansatzes scheint es Matthias Meyer zu gelingen, nicht nur den Antagonismus zwischen Figuration und Abstraktion, Schönheit und Gefahr, sondern auch den zwischen Kunst, Natur und Leben zu überwinden
(Text: Leni Senger)
With Atropa, Andreas Binder Gallery is presenting the 9th solo exhibition by the artist Matthias Meyer.
Since the beginning of his artistic career, landscapes have always been one of the most central motifs in Meyer´s paintings. While in the last years, he was directing his gaze on nature and its pictorial implementation in play with the elements, in his new forest and lake landscapes he turns increasingly to the detailed depiction of flowers and plants. Large-format canvases no longer focus solely on visualizing the subjective power of nature. Rather nature is specifically named in its dichotomous relation between beauty and danger.
In this manner, the exhibition title Atropa does not only refer to the Latin translation of this deadly plant - depicted in the painting of the same name. Rather, the origin of the botanical name - derived from the Greek goddess of fate Atropos, the destroyer, who cuts the thread of human life - relates to the threatening character of nature, that can always be found behind all beauty. By dealing with toxic flowers, Matthias Meyer shows us the everlasting cycle of life, where destruction is always the basis for change and coming into being.
And just as nature in its abundance and perfect aesthetics is difficult to grasp in its complexity, neither can Meyer's works be interpreted on the surface of their subject or their painterly-technical style. Rather, Meyer's landscape paintings reflect the risk of devoting oneself to the essence of painting and the wonders of nature - unaffected by postmodern art discourses. In a subtle way, the painter confronts us with the dissonance of earthly eternity and finitude, utopia and dystopia, material and reflection.
It seems as if his paintings become a playground and the projection surface for his artistic examination of the analogies of the materiality of nature, painting and life itself. The ability of water to change and adapt at the same time, is easily reproduced by the artist through the combination of permeable layers of paint, a linear composition and the use of color as an structuring element. In this way, the density of the forest and the unsteadiness of water are captured in a moment of silence, that makes us able to look into what is behind and below a world, that is filled with beauty and danger at the same time.
Thereby, the awareness of the destructive power of nature goes hand in hand with the recognition of the danger, that we humans mean to our nature. Once again it clarifies, that the world can only continue to exist in harmony between humans and nature.
This content-related component is also reflected in the concrete approach of the artist: Meyer not only uses photographs as a template for his paintings. The artistic process also follows a geometric composition, that is based on the tradition of color field painting, and which is followed by an improvising creative process. The abstract suggestion of the landscape, combined with documentary details in the mirror of an conceptual structure, make it possible, to reproduce the indefinable pictorial spaces of nature. With this approach, Meyer follows the view that painting - analogous to life - is in a perpetual flow in which the picture “develops a life of its own and thereby almost retains something natural”. Working with heavily diluted oil paint and solvents, random color gradients, smears and overlays support this procedure.
The focus on conception and pictoriality then leads to a principle of formlessness, in which color is used autonomously as a means to compose the pictorial space. Thanks to this technical-conceptual approach, Matthias Meyer seems to succeed not only in overcoming the antagonism between figuration and abstraction, beauty and danger, but also between art, nature and life.
(Text: Leni Senger)