Tiefe Wasser
Rosenhang Museum, Weilburg 2018
Mit Tiefe Wasser widmet das Rosenhang Museum dem 1969 in Göttingen geborenen Gerhard Richter Schüler Matthias Meyer eine Einzelpräsentation in den Räumlichkeiten der ehemaligen Brauerei.
Großformatige Ölgemälde zeigen das Wasser in all seinen natürlichen Erscheinungsformen und seiner ebenso mannigfaltigen wie subjektiven Wirkungsmacht.
Das Wasser als Natur-, Menschheits- und Kulturgeschichte bestimmendes Element, das stets von oben nach unten fließt, auf seinem Weg die Umgebung aufnimmt, sie reinigt und wieder fortspült, wird hier zum Thema einer sowohl ästhetisch als auch diskursiv vielschichtigen Malerei, die das eigentliche Motiv zugunsten der Auseinandersetzung mit dessen Wesen nahezu verschwinden lässt.
Es scheint fast als würden Seen- und Flusslandschaften auf der Leinwand zur Spielwiese und Projektionsfläche für die künstlerische Auseinandersetzung mit der Materialität des Wassers und des Einfangens seiner Bewegung in einem Moment der Stille. Die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des Wasser, die ermöglicht, dass Licht und Umgebung gleichermaßen aufgenommen und gespiegelt werden, setzt Matthias Meyer auf der Leinwand mit durchlässigen Farbschichten um, die dann einen Blick in das Dahinter und Darunter und damit in eine von Empfindung, Leuchtkraft und Farbe gesättigte transzendentale Welt zulassen.
Nicht zuletzt steht das Wasser in seiner mannigfaltigen Symbolik stets in Verbindung mit den Tiefenschichten des Unterbewusstseins. Die auf der Leinwand sichtbar werdenden Wasserlandschaften werden gleichsam zum Spiegel unterbewussten Kunstschaffens und ermöglichen so auch dem Betrachter einen Zugang zu traumartigen Welten.
Diese intuitive Komponente, die eine spirituelle oder psychologisierende Interpretation zulässt, ist schließlich Teil der konkreten künstlerischen Vorgehensweise Matthias Meyers: So bedient sich der Künstler zwar der Fotografie als Vorlage für seine Gemälde, die Ausfertigung entsteht jedoch davon losgelöst in einem improvisierenden, fast traumwandlerischem Duktus. Seine Malerei folgt dabei der Auffassung, dass sie sich – analog zum Leben – in einem immerwährenden Fluss befindet, bei dem das Bild „ein Eigenleben entwickelt und sich dabei beinahe etwas natürliches bewahrt“.
Die Arbeit mit stark verdünnter Ölfarbe und Lösungsmitteln, die zufälligen Farbverläufe, Verwischungen und Überlagerungen sind somit nicht lediglich technische Mittel zur Abbildung des Motivs. Das Experimentieren mit dem Material und seinem dem Wasser analogen Aggregatszustand ermöglicht das Schaffen eines subjektiven Abbildes des Wassers.
Und dennoch können Matthias Meyers Bilder nicht gänzlich frei von zentralen Fragen des kunsttheoretischen Diskurses betrachtet werden. Die gleichzeitige Abkehr vom Figurativen und von der geometrischen Abstraktion mündet in der Praxis in ein Prinzip der Formlosigkeit, in dem die Farbe autonom eingesetzt wird. Dank dieses technisch-konzeptuellen Ansatzes, scheint es Matthias Meyer zu gelingen, nicht nur den Antagonismus zwischen Figuration und Abstraktion, sondern auch den zwischen Kunst und Natur zu überwinden.
Ein buddhistisches Sprichwort besagt, dass das Leben im Fluss erfasst werden muss und sich nicht aufhalten ließe, um es zu untersuchen. Und so fängt Matthias Meyer das Wasser in seiner Bewegung ein, gibt sich dem Fluss der Farbe hin und schafft Werke der Tiefe, nie aber des Stillstands.